Doris Lerche 

 

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KURZTEXTE & VERSE

KURZTEXTE
 

Übereck

 
Wie sie so in der Havanna-Bar sitzen, sie den Stiel des Coctailglases zwischen zwei Fingern, er sein Bierglas vor sich auf dem Pappdeckel, zum ersten mal zu zweit, zum ersten mal verabredet, da nimmt er einen Schluck aus seinem Glas, setzt es ab, lässt den Blick über sie hinschweifen und sagt: Übrigens, ich bin sexsüchtig.
Sie schaut ihn an, seine Locke über der Stirn, dann aus dem Fenster ins Dunkle. Die Scheibe spiegelt ihre beiden Gesichter. Wie man beim Billardspiel übereck und nicht direkt die Kugel ins Loch stößt, so trifft sie seinen Blick in der spiegelnden Scheibe. Trifft sie ihn wirklich? Ist der Spiegel Wahrheit oder ein Trugbild.
Sexsüchtig.
Will er sie warnen? WiIl er sagen: Vorsicht, ich bin gefährlich, lass die Finger von mir.
Oder will er wissen: wie stehts mit dir? - Will er einen Nerv anrühren?
Sie sitzt unschlüssig. Reibt ihre Knie gegeneinander.
Sie haben sich ja noch nicht mal geküsst. Vielleicht gefällt er ihr gar nicht? Er hat eine Art, sich von Zeit zu Zeit die Unterlippe mit spitzer Zunge zu lecken, vor allem, bevor er einen Satz beginnt. Das stößt sie ab. Das zieht sie an.
Man muß ja auch arbeiten, denkt sie. Immer nur Sex, das geht doch gar nicht. Und ins Kino möchte man auch oder in die Matisse Ausstellung. Und mal spazieren bei schönem Wetter.
 
Oder will er ihr sagen: Hör mal, nicht daß du denkst, du bist die einzige, die ich mir hernehme. Wenn du ins Kino willst - gut, aber dann rechne damit, dass ich mir bei anderen Frauen hole, was du mir verweigerst. Oder liegt er den ganzen Abend vorm Fernseher und zieht sich einen Pornovideo nach dem anderen rein, so wie ihr letzter Freund, der diese Art von Sex bequemer fand als all die langwierigen Vorspiele, bis man endlich zur Sache kam. Was ihr gefiel, gefiel ihm nicht. So waren die Pornos die angenehmste Lösung.
 
Er sitzt reglos da, blickt sie im Spiegelbild an, genau wie sie, indirekt übereck, genau wie sie.
 
Oder erwartet er, dass sie glücklich seine Hand fasst und gesteht: Du bist mein Traum. Einen Mann, der immer will, der mich nie zurückweist, so einen habe ich mir mein Leben lang gewünscht.
Oder im Gegenteil: Nein, mein Lieber, unter diesen Umständen fangen wir gar nicht erst an. Zwei- dreimal die Woche Sex ist in Ordnung. Damit kann ich mich anfreunden – aber öfter –das ist nichts für mich. Das ist mir zu eng, zuviel, zu nah.
Sexsüchtig – was also meint er damit?
Meint er, er braucht zwei Frauen gleichzeitig im Bett? Oder nicht im Bett, sondern in der Badewanne oder auf dem Velourteppich. Meint er vielleicht, er braucht auch Männer?
Was ist sexsüchtig? Fünfmal am Tag oder öfter? Sex bis zur Erschöpfung und dann wieder von vorn?
Er ist Software-Spezialist, hat einen stressigen Beruf, kommt oft erst spät heim. Wann hat er seinen süchtigen Sex ? In der Mittagspause? Aber essen muss er doch auch? Vielleicht ein Quickie auf dem Klo? Oder zwei. Aber mit wem? Mit der Kellnerin? Die bedient. Die hat keine Zeit für sowas. Mit einer Kollegin? Ja, vielleicht mit einer Kollegin. Da sitzen sie beim essen, schauen sich an wie wir jetzt, einigen sich ohne Worte, verschwinden gemeinsam, sie betrügt ihren Mann, der nie Lust hat.
Und abends?
Was macht er abends? Mit Frau oder ohne? Mit echtem Film oder Film im Kopf?
Passt ihr Film zu seinem Film – oder nicht.
Reicht ihm ein einfaches Ineinanderschieben der wesentlichen Geschlechtsteile? Oder braucht er es raffinierter. Oder braucht er es härter. Ist er sofort bereit, ohne dass man etwas dafür tun muß? Kann sie sich bequem hinlegen und ihn machen lassen?Oder legt er wert auf Aktivitäten ihrerseits?
Muss sie mit ihm seine Videos nachspielen oder darf sie sein wie sie ist. Darf sie langweilig sein? Darf sie abwarten, was passiert?
Oder braucht er, dass sie ihn ermuntert, bestätigt. Braucht er, dass sie ihm zeigt, wie gut er ist.
Darf sie ihn küssen so wie sie es möchte? Darf sie ihn zärtlich küssen? Begehrlich auf ihre Art?
Ihr vorletzter Freund haßte Zärtlichkeit. Küsse kitzelten ihn. Er wollte immer direkt hinein in sie. Das mag sie nicht. Oder nur, wenn sie in Stimmung ist. Aber mit ihm war sie nie in Stimmung.
Kann dieser Mann sie in Stimmung bringen? Oder interessiert ihn nicht, was mit ihr ist. Was interessiert ihn? Sex ? Oder sie?
Sucht er eine, die mitmacht?
Oder gefall ich ihm?
Sie löst ihren Blick von der spiegelnden Scheibe und schaut direkt nach vorne, schaut ihn direkt an, bis er endlich sein Gesicht zu ihr hinwendet.
Seine Augen sind hell und geben keine Antwort.
 
 

Irgendwo

 
Mein Liebster ist auf der Suche. Ich hatte geglaubt, dass ich es bin, die er will.
Ich hatte geglaubt, dass ich es bin, die ihm seine Sehnsüchte stillt, seine Ängste beruhigt.
Aber ich bin es nicht.
Ich spüre die Rastlosigkeit in seinen Adern, kaum dass er am Morgen mein Bett verlässt.
Ich spüre, wie es ihn wegzieht. Er verkriecht sich hinter der Zeitung wie ein Ehemann, er wirft mir ein paar zerstreute Küsse hin, ehe er geht, und jedesmal denke ich, er kommt nicht wieder, er hat da draußen endlich gefunden, was er sucht. Jedesmal wundere ich mich, wenn ich am Abend meinen Schlüssel höre, wie er ihn im Schloss dreht. Jedesmal bin ich überrascht, ihn zu sehen.
Er sucht eine Frau, die er lieben kann, sagt er. Mit der er leben kann. Mit der er ein Kind wollen kann. Mit der er alt werden kann.
Ich will nichts als ihn lieben.
Was will er bei mir? Warum kommt er jeden Tag, redet mit mir, liest seine Zeitung bei mir, geht mit mir ins Kino, ins Konzert, zu Freunden? Warum schläft er mit mir, wenn er mich nicht will? Warum frühstückt er mit mir, wenn er mich nicht will?
Ist es nur, weil er sich einsam fühlt? Weil nichts Besseres in Sicht ist?
Bin ich wirklich nur eine zufällige Frau von vielen, an der er beiläufig hängenblieb?
Er fühlt sich frei bei mir, sagt er, weil er mich nicht wollen muß. Darum kommt er immer wieder. Aber er möchte gern eine Frau, die er will, sagt er.
Und so kommt er und geht er, immer auf dem Sprung, die Liebe nicht zu verpassen, die wahre, die richtige, die eigentliche Liebe, die draußen irgendwo irgendwann vorüberläuft. Er muss wachsam sein, daß er sie nicht übersieht, die Liebe, er darf sich nicht leichtfertig wohlfühlen mit mir, eingelullt von meinen Küssen.
Und ich?
Ich nutze die Zeit, die ich ihn habe. Ich entfessele seine Wünsche. Ich vergesse seine Liebe da draußen. Er vergisst sie nicht. Nur für Sekunden vergisst er sie, wenn er sich dankbar verströmt in mir. Nur für Sekunden sehe ich sein steifes Gesicht schmelzen, sehe ich die sanfte Wärme in seinem Blick. Nur für Sekunden lässt er sich bei mir nieder.
Danach stürzt er fort, flüchtet vor mir, als wollte ich ihn schlagen, flüchtet vor mir, als sei es für immer.
 
Ich hatte geglaubt, dass er es ist, der meine Sehnsüchte stillt, meine Ängste beruhigt.
Aber er ist es nicht.
Irgendwo draußen wartet die wahre, die richtige, die eigentliche Liebe.
Ich bin auf dem Sprung.
 
 

Am Ende der Welt

 
Immer wenn ich mit Marek im Café sitze, ist da irgendwo am Nebentisch eine Frau oder zwei, wie neulich, die ihn von Ferne kennen oder er sie.
Er neigt sich ihnen zu, mit seiner sanften Stimme mit seinen dunklen Wimpern, ich sitze hinter seinem Rücken, betrachte von dort die glücklichen Gesichter, schaue zu, wie sie weich nachgeben unter Mareks Blick, wie die blühenden Brüste sich über den halben Tisch schieben.
Aber er merkt nichts, sagt er, er merkt nicht, wie die Frau hinter der Wursttheke in Trance gerät, wenn er ein paar Worte mit ihr wechselt, er merkt nicht, wie seine Hauswirtin zu stammeln beginnt, weil er für zwei Minuten anhält, um sich ihr auf der Treppe plaudernd zuzuwenden.
Er merkt nichts, sagt er.
Ich merke, wie diese Malerin im Café am Nebentisch ihn freudig wiedererkennt von sonstwo. Wie sie an ihm hängt mit ihrem entrückten Blick, wie alles rechts und links für sie versinkt, auch ich, die ich hinter Mareks Rücken sitze, nur meinen Kopf beiseite recke, um zu schauen, was passiert. Nichts passiert. Der Blick schwimmt, der schöne große rote Mund ist schlaff geöffnet. Kommst du auf meine Vernissage? Ja, gern, sagt er. Gib mir deine Adresse, sagt sie, dann schicke ich dir eine Einladung, und er zückt Papier und Stift, weil er seine Visitenkarten nicht dabei hat.
Er merkt nichts, sagt er. Er ist nur freundlich, sagt er.
Vielleicht ist es normal für ihn, vielleicht kennt er es nicht anders, als dass die Frauen sich vom Balsam seiner Stimme streicheln lassen.Vielleicht denkt er, die Frauen sind so, vielleicht weiß er wirklich nicht, dass es an ihm liegt. Sogar diese burschikose Studentin, die er von wer-weiß-woher kennt - sogar sie in ihrem karierten Männerhemd, - sogar sie beugt sich vom Nebentisch über den Gang hinweg zu ihm hin, mit roten Backen, glasigen Augen, fragt aufgeregt, vielleicht sehen wir uns mal wieder, ja, sagt er, ich bin oft hier im Café.
Breit beschützt sein Rücken das Gespinst von Blicken, von Worten. Ich spüre den Impuls, aufzuspringen, wegzurennen bis ans Ende der Welt.
Aber ich weiß, Marek ist keiner, der nachrennt. Er liebt mich, weil ich lässig neben ihm sitze, während er diese Frau bis ins Mark berührt. Er liebt mich, weil er glaubt, ich sei eine, die sicher in sich ruht. Die nicht verrückt spielt wie seine letzte Frau mit ihren eifersüchtigen Ausbrüchen, dass er am liebsten davonrennen wollte bis ans Ende der Welt.
So sitze ich, zücke Papier und Stift, wir brauchen Milch, Salat, Spagetti, wir brauchen Essigreiniger, Waschpulver, wir brauchen Nasentropfen aus der Apotheke.
Ich höre wie sie sich verabschieden. Bis bald, sagt sie.
 
Wir schlendern hinüber zum Supermarkt. Wir füllen unseren Einkaufswagen.
Ich höre Marek leise lachen.
Du merkst nichts, flüstert er. Schau, da drüben der Filialleiter wie er dich anstarrt, deinen Hintern, dein Haar. Er lässt dich nicht aus den Augen. Eben hast du ihn beiläufig angelächelt, auf deine freundliche Art, die nichts bedeutet, und er strahlte. Aber du merkst nichts. Du merkst nicht, wie der Verkäufer dort hinter der Käsetheke versunken ist in den Anblick deiner nackten Schultern, wie er auf einen Blick von dir wartet. Aber du stehst da mit krauser Stirn und vergleichst die Preise und merkst nichts.
Und im Café, fährt Marek fort, da redest du und redest und gestikulierst mit deinen Händen, und merkst nicht die Blicke vom Nebentisch. Merkst nicht, wie die Männer dich wohlwollend geil betrachten. Aber ich merke alles.
Wir gehen zur Kasse. Wir sacken unsere Waren ein. Wir schultern unsere Leinenbeutel, wir treten hinaus ins Freie.
Ich liebe Marek, weil er lässig neben mir geht, während all die Männer mich betrachten. Weil er nicht verrückt spielt wie mein letzter Mann mit seinen eifersüchtigen Ausbrüchen, dass ich weglaufen wollte bis ans Ende der Welt.
Ich weiß nicht, ob Marek sicher in sich ruht. Vielleicht schmerzt es ihn, daß er Vorgänger hatte, die ich liebte. Vielleicht schmerzt es ihn, wenn mich ein Mann beim Tanzen an sich zieht.
Aber er lässt mich tanzen.
Und ich ihn auch.
 
 
(Texte aus: „Damit ich dich besser küssen kann“)
 
Mehr Kurztexte
 
 

VERSE
 

Rosen & Ratten

 
Blättchen, Blütchen
Liebesglütchen
Sehnsuchtskrümchen
Mauer-
Blümchen
Auf die Dauer
hilft nur
freudige Miene
zum traurigen Spiel.
Stengelchen, Stil
Sex-Appeal
Schenk deiner Frau
mal wieder Blumen.
Blaue Rosen, grüne Veilchen
Bohre dich in ihr Volumen
und verbringe dort ein Weilchen.
Blumenpower
Blümchensex
Und der Wind weht immer rauher.
Fleischbeschauer, schau genauer,
doch die Augen sind geschwollen
von den vielen Blütenpollen.
 
 
        * * *
 
 
Oh es gibt viele Männer,
die sie lieben wollen.
Aber sie ist nicht zu lieben.
Ihr Herz liegt brach
im Hochsicherheitstrakt,
steril verpackt,
dreifach umzäunt mit Stacheldraht,
rasiermesserscharf,
Spitzenfabrikat.
Keine duftende Rosenhecke
lockt die Prinzen der Welt.
Ihr Herz ist von Wachtürmen umstellt.
Sie knallt ihre Liebe aus Schießscharten.
Kein Lustgarten
winkt hinter Dornen.
 
Die liebenden Herzen verbluten
In zwei Minuten.
 
Nur die verrückten
die schwerstgestörten
die nie gesehenen
nie gehörten
Borderline-Boxer
nur diese hacken wüst drauflos
ein Schlag - ein Stoß
mit Axt oder Schwert
nur diese erreichen sie unversehrt,
küssen ihr Herz -
 
und machen kehrt.
 
 
        * * *
 
 
(Gedichte aus: „Zungenspitzen“)
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